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Krieg um die Erinnerung

Kroatische Vergangenheitspolitik zwischen Revisionismus und europäischen Standards, Campus Forschung 949

Erschienen am 13.09.2010, 1. Auflage 2010
50,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593393032
Sprache: Deutsch
Umfang: 422 S., 18 Fotos, 4 Tab.
Format (T/L/B): 3 x 21.3 x 14 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Mit einem Vorwort von Aleida Assmann Nach dem Zerfall Jugoslawiens tobte in den Nachfolgestaaten ein "Krieg um die Erinnerung". Alte Feindbilder aus dem Zweiten Weltkrieg wurden reaktiviert und in Kroatien galt der faschistische "Ustascha-Staat" als Meilenstein auf dem Weg zur kroatischen Unabhängigkeit. Heute steht Kroatien kurz vor dem EU-Beitritt und ist ein Paradebeispiel für die Übernahme europäischer "Erinnerungsstandards" in post-sozialistischen Staaten. Dies ist nicht nur positiv zu bewerten: Unter dem Schlagwort "Totalitarismus" werden die NS- und Ustascha-Verbrechen mit denen des Staatssozialismus gleichgesetzt und "die Serben" als die neuen Faschisten gedeutet. Ljiljana Radonic analysiert anhand von Zeitungsartikeln über die Gedenkstätten Jasenovac und Bleiburg den Wandel der kroatischen Vergangenheitspolitik von 1985 bis heute und bettet diese ein in die Debatten über die "gespaltene Erinnerung" in Ost und West.

Autorenportrait

Ljiljana Radonic verfasst ihre Habilitation über den "Zweiten Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen" an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und lehrt am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.

Leseprobe

Mein Forschungsgegenstand ist der Wandel der Vergangenheitspolitik (verstanden als der politische, justizielle und diskursive Umgang mit einem verbrecherischen Vorgängerregime) in Kroatien nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens und dem Wahlsieg Franjo Tu?mans und seiner Partei, der "Kroatischen demokratischen Gemeinschaft" (HDZ) 1990. Es geht dabei jedoch nicht um die Analyse der Konstruktion nationaler Geschichte im Allgemeinen, sondern um den Umgang mit jener "verbrecherischen Vergangenheit", die in Kroatien nach 1990 im öffentlichen Diskurs eine zentrale Rolle einnahm: der Phase des Zweiten Weltkrieges und des Ustascha-Regimes (1941-1945). Dort, wo der Umgang mit dem Zweiten Weltkrieg und dem sozialistischen Regime im Zusammenhang miteinander diskutiert werden, etwa wenn die PartisanInnen als die späteren kommunistischen FunktionärInnen kritisiert werden, wird auch die Zeit nach 1945 in die Analyse miteinbezogen. Der Wandel der Vergangenheitspolitik wird entlang der politischen Wenden 1990-2000-2003 verfolgt: Die zentrale Fragestellung ist somit jene nach den Kontinuitäten und Brüchen der Vergangenheitspolitik in Jugoslawien, dem als autoritäres Wahlregime zu verstehenden "Tu?man-Regime" 1990-1999, der sozialdemokratisch regierten Ära nach Tu?mans Tod (2000-2003) sowie dem neuerlichen Wahlsieg einer sich nunmehr als reformiert und europaorientiert darstellenden "neuen HDZ" (2003-2008). Die Fragestellung lässt sich folgendermaßen präzisieren: Wie hat sich der politische und justizielle Umgang mit der Vergangenheit von der jugoslawischen Ära bis heute gewandelt? Dies wird für die Phase bis 1990 vor allem anhand von Sekundärliteratur und für die Phase danach insbesondere anhand von Zeitungsartikeln untersucht, da dazu noch kaum Arbeiten vorliegen. Die Medien dienen somit zunächst als Quelle zur Informationsgewinnung. Wie hat sich ferner die diskursive Vergangenheitspolitik, also das "Feld des Sagbaren" von 1990 bis 2008 gewandelt? Welche Ereignisse lassen sich als diskursive Wenden und Höhepunkte bestimmen? Inwiefern waren die politischen Wendejahre 1990, 2000 und insbesondere 2003 auch Wenden im Diskurs? Mit diesem Hauptteil der Arbeit wird wissenschaftliches Neuland betreten. Hier dienen die Zeitungsartikel nicht mehr der Informationsgewinnung über Straßenumbenennungen oder Gerichtsprozesse, sondern werden einer diskursanalytischen Untersuchung unterzogen. Im Zentrum stehen dabei die jährlichen Debatten um die zwei meistumkämpften Gedächtnisorte Jasenovac und Bleiburg, aber auch der Gerichtsprozess gegen den ehemaligen KZ-Kommandanten von Jasenovac, Dinko Saki? 1998/1999. Wie lässt sich darüber hinaus der Zusammenhang zwischen der politischen Entwicklung - vom sozialistischen Jugoslawien über das autoritäre Tu?man-Regime zur konsolidierten Demokratie nach den Wendewahlen im Jahr 2000 - mit der Vergangenheitspolitik in Kroatien bestimmen? Zur Demokratieentwicklung in Kroatien liegt vor allem in der Landessprache bereits umfangreiche Literatur vor. Dieser Aspekt ist zunächst zur Kontexualisierung der Vergangenheitspolitik unverzichtbar und kann am Schluss in Bezug auf die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Demokratisierung und Vergangenheitspolitik wieder aufgegriffen werden. Wie lässt sich schließlich das Spannungsverhältnis zwischen der "Europäisierung der Erinnerung", in deren Fokus der Holocaust als negativer europäischer Gründungsmythos rückt, mit der konkurrierenden Erinnerung an die staatssozialistischen Verbrechen und der Ansicht vereinbaren, der Ustascha-Staat sei ein "Meilenstein" auf dem Weg zur kroatischen Unabhängigkeit gewesen? Wie wirken sich der in Gedenkmuseen beobachtbare internationale Fokus auf individuelle Opferschicksale und die Verwendung der Holocaust-Terminologie zur Deutung aktueller Kriege ("Rampe von Srebrenica") auf die kroatische Vergangenheitspolitik aus? Mit dieser Frage soll über das kroatische Fallbeispiel und den state of the art der Forschung zu europäischen Erinnerungsstandards u

Inhalt

Inhalt Danksagung Vorwort von Aleida Assmann 1. Einleitung 1.1. Fragestellung und Gliederung 1.2. Theoretische Zugänge und Begriffsklärung 1.3. Methodologische Vorüberlegungen 1.4. Die historisch-diachrone Analyse kroatischer Vergangenheitsdiskurse 2. Europäischer Kontext: Post-sozialistische Geschichtsdeutungen und die Europäisierung der Holocaust 2.1. Von Entschädigungsfragen zur symbolischen Erinnerung 2.2. Enthistorisierung der Holocaust-Erinnerung 2.3. Identitätsstiftung und politische Instrumentalisierung 2.4. Holocaust vs. Gulag - Konkurrierende Erinnerungen in "West" und "Ost"? 2.5. Resümee: Transnationale Praktiken statt eines europäischen Geschichtskanons 3. Geschichtlicher Überblick: Der Zweite Weltkrieg (1941-1945) 3.1. Der "Unabhängige Staat Kroatien" - Die NDH 3.1.1. Die Ideologie der Ustascha-Bewegung 3.1.2. Die NDH und der Widerstand gegen den Massenmord 3.1.3. Der Bürgerkrieg 3.2. Vom Boykott zur Vernichtung: Shoa und Genozid in Kroatien 3.2.1. Rechtliche Grundlage der Verfolgung 3.2.2. Deportation, erste Todeslager und die Rolle der Italiener 3.2.3. Der Lagerkomplex Jasenovac 3.2.4. Jüdinnen und Juden bei den PartisanInnen 3.3. Bleiburg und der "Kreuzweg" 4. Jugoslawien: Vom "supra-nationalen" Gründungsmythos zum nationalistischen Kampf um die Erinnerung (1945-1990) 4.1. Rechtliche und justizielle Vergangenheitspolitik 4.2. Eckpunkte des antifaschistischen Vergangenheitsnarratives 4.3. Institutionen des konkurrierenden Erinnerns 4.4. Schulbücher: letzte Residuen der "Brüderlichkeit und Einheit" 4.5. Der vergangenheitspolitische Diskurs 1985-1990 5. Die Tu?man-Ära: "Nationale Versöhnung" zwischen Jasenovac und Bleiburg (1990-1999) 5.1. Defizite in demokratischen Kernbereichen 5.2. Justizielle und symbolische Vergangenheitspolitik 5.3. Der vergangenheitspolitische Diskurs im Detail: Die Gleichsetzung von Jasenovac und Bleiburg 5.3.1. Jasenovac als "nationale Versöhnungsstätte" 5.3.2. Exkurs: Der Prozess gegen Dinko Å aki? (1998-1999) 5.3.3. Bleiburg: "Die größte Tragödie des kroatischen Volkes" 6. Nach den Wendewahlen: Annäherung an europäische Standards unter sozialdemokratischer Führung (2000-2003) 6.1. Justizielle und symbolische Vergangenheitspolitik 6.2. Der vergangenheitspolitische Diskurs ohne manichäische Feindzuschreibungen 6.2.1. Jasenovac: Abrechnung mit revisionistischen Zuschreibungen 6.2.2. Bleiburg: Kein "serbischer Ausrottungsversuch" mehr 7. Die europäische Integration und eine "neue" HDZ (2003-2008) 7.1. Justizielle und symbolische Vergangenheitspolitik 7.2. Der Europa-kompatible vergangenheitspolitische Diskurs 7.2.1. Jasenovac: Kontinuität nach dem Wahlsieg der HDZ? 7.2.2. Die neue Jasenovac-Ausstellung und die "Europäisierung des Holocaust" 7.2.3. Bleiburg: "schuldige" und "unschuldige" Opfer 8. Ergebnisse 9. Literatur Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

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